Freiwilligen-Portrait EAPPI 2022

Freiwilligen-Portrait EAPPI 2022

Werner Surbeck leistete 2022 mit Peace Watch Switzerland (PWS) einen dreimonatigen Freiwilligeneinsatz als Menschenrechtsbeobachter in Palästina/Israel. Bis zu seiner Pensionierung war er Sekundarlehrer in Spreitenbach und unterrichtete in einem Durchgangszentrum Deutsch für Asylbewerber*innen. Im folgenden Interview gibt Werner über seine Motivation, den Wiedereinstieg von EAPPI nach Covid und seine Erfahrungen in Palästina/Israel Auskunft. PDF-Version

Freiwilligen-Portrait Honduras 2022

Freiwilligen-Portrait Honduras 2022

Marina Bieri leistete 2021/2022 einen sechsmonatigen Einsatz mit Peace Watch Switzerland (PWS) in Honduras. Sie studierte Internationale Beziehungen und Public and Nonprofit Management. Vor ihrem Einsatz sammelte sie in verschiedenen Praktika berufliche Erfahrungen. Im folgenden Interview berichtet sie von ihrer Motivation für den Einsatz mit PWS sowie über ihre Erlebnisse in Honduras. PDF Version

Infoblatt Honduras – Juli 2022

INFOBLATT HONDURAS – JULI 2022

In Honduras arbeitet PWS mit gemischten Begleitteams. Seit 2018 waren, neben Einsatzleistenden aus der Schweiz und anderen Ländern, rund ein Fünftel aus Honduras. Einheimische Menschenrechtsbegleiter*innen ergänzen die physische Präsenz auf sinnvolle Art und Weise. Nach vier Jahren Erfahrung hat PWS bei Einsatzleistenden, bei der PWS-Programmleitung und bei den Begleiteten nachgefragt, wie sie die gemischten Teams erleben. PDF Version.

Freiwillige Menschenrechtsbeobachter*innen für Einsätze in Honduras

Wir Suchen: Freiwillige Menschenrechtsbeobachter*innen für Einsätze in Honduras

27 Januar 2022

Peace Watch Switzerland (PWS) ist eine Schweizer Menschenrechts- und Friedensorganisation, die Freiwillige zur Menschenrechtsbegleitung und -beobachtung in Projekte nach Honduras und Palästina/Israel entsendet. PWS ist ein Verein mit Geschäftsstelle in Zürich. Für das Projekt für Palästina/Israel arbeitet PWS mit einem Leistungsauftrag von HEKS. In Honduras hat PWS eine eigene Projektstruktur aufgebaut.

Nach einer coronabedingten Unterbrechung hat PWS im September 2020 die physische Beobachtungs- und Begleitarbeit in Honduras wieder aufgenommen. Für unsere Menschenrechtsarbeit in Honduras gilt neu ein COVID-Schutzkonzept.

Zur Verstärkung des PWS-Teams in Honduras suchen wir ab Juli 2022 oder nach Vereinbarung

Freiwillige Menschenrechtsbeobachter*innen für Einsätze in Honduras

Einsatzdauer: 6 Monate oder länger

 

Ihre Aufgaben im Einsatz
  • Physische Präsenz und Besuche in ländlichen Gemeinschaften in Honduras.
  • Punktuelle Begleitung von honduranischen Menschenrechtsverteidiger*innen.
  • Physische Präsenz bei gerichtlichen Prozessen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen.
  • Mitarbeit in der Einsatzplanung und in der Dokumentation von Fällen und Prozessen
  • Verfassen von Beiträgen für die PWS-Webseite und den PWS-Honduras-Blog
Unsere Anforderungen und Ihre Bereitschaft
  • Alter: 25 – 65 Jahre
  • Psychische Gesundheit und physische Belastbarkeit
  • Fähigkeit und Freude, in einem internationalen Team zu leben und zu arbeiten.
  • Sehr gute Spanischkenntnisse, mündlich und schriftlich (Niveau B1 erforderlich).
  • Respektierung der Codes of Conduct sowie der Koordinations- und Sicherheitsprotokolle von PWS-Honduras.
  • Bereitschaft zu weiterer Informations- und Sensibilisierungsarbeit nach der Rückkehr aus dem Einsatz.
  • Interesse für kontextspezifische Konflikthintergründe und zur Menschenrechtesituation in Honduras und Bereitschaft, sich entsprechendes Wissen anzueignen.
PWS bietet
  • Wohnung und Büro mit guter Infrastruktur in der Hauptstadt Tegucigalpa.
  • COVID-Schutzkonzept für die physische Begleitung und Präsenz in ländlichen Gemeinschaften.
  • Austausch und Kontakt mit der Zivilbevölkerung
  • Praxis- und hintergrundbezogene Vorbereitung auf den Einsatz
  • Realitätsbezogene Erfahrungen und Erkenntnisse zu Konflikthintergründen, Konfliktmechanismen, Menschenrechten und Entwicklung.
  • Einblick in die Arbeitsweise und Realität der PWS-Netzwerkpartner vor Ort und in die internationale Zusammenarbeit.
  • Kontakt mit internationalen NGOs, internationalen Menschenrechts- und Friedensorganisationen sowie der Schweizer Vertretungen vor Ort.

PWS übernimmt die Flugkosten nach Honduras und zahlt den Einsatzleistenden ein Monatsgeld von CHF 300.-

Freie Einsatzplätze gibt es im Juli und September 2022 (je 1 Platz), im Januar und März 2023 (je 2 Plätze).

Sind Sie Interessiert? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktnahme per Telefon auf 044 272 27 88 oder per E-Mail an Marianne Widmer.

Herzensgut und dennoch verurteilt – der Fall des Padre Florentino Hernández im Süden von Honduras

Herzensgut und dennoch verurteilt – der Fall des Padre Florentino Hernández im Süden von Honduras

Von Kathrin Klöti

Sechster Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Kathrin Klöti war von Mai bis September 2021 PWS-Einsatzleistende in Honduras. Sie ist Tourismusfachfrau mit Spezialisierung in nachhaltiger Entwicklung. Nach ihrem Einstieg mit PWS in die Internationale Zusammenarbeit ist sie nun bei Helvetas für nachhaltigen Wintertourismus in Kirgistan (Zentralasien) tätig.
Zum ersten Mal traf ich den Padre Florentino Hernández im Mai 2021. Wir besuchten ihn als PWS-Team in seinem Pfarrzentrum in El Triunfo, im ländlichen Süden von Honduras nahe der Grenze zu Nicaragua. Das Pfarrzentrum ist ein einfaches Haus mit einem kleinen Innenhof, gleich neben der lokalen Kirche. Einige Strassenhunde schienen genauso stetig ein und auszugehen, wie die Mitglieder der Kirchgemeinde aus der Umgebung. Vom ersten Augenblick an schien mir der Padre ein bescheidener und wahrhaft herzensguter Mensch zu sein. Mir fiel schnell auf, dass er es kaum gewohnt war, über sich selbst zu sprechen. Die Gemeinden, die er betreut, stehen für ihn an erster Stelle. Das Wohlbefinden seiner Kirchgemeinde ist ihm ein grosses Anliegen, und dafür setzt er sich täglich von den frühen Morgenstunden an ein.
Aufgaben im Einsatz in Honduras:
Physische und telefonische Begleitung von ländlichen Gemeinden, ihren Basisorganisationen und von Menschenrechtsverteidiger*innen; Dokumentation und Berichterstattung für die PWS-Informationsarbeit, Kooperation mit anderen Akteur*innen
PWS-Menschenrechtsbeobachterinnen bei Padre Florentino Hernández. Foto: PWS 2021

Einstehen für mehr Gerechtigkeit und Mitbestimmung

Neben einer anhaltenden Dürre ist eine zentrale Herausforderung der Gemeinden im Einzugsgebiet des Padre Florentino Hernández die Mitsprache bei der Entwicklung der direkten Umgebung. Eine ausländische Minengesellschaft plant auf dem Gebiet der Gemeinden den Abbau von Gold. Vom honduranischen Staat hat sie dafür bereits die Konzession erhalten. Was zunächst als politisches Thema erscheinen mag, hat der Padre in seine seelsorgerische Arbeit aufgenommen: Seine Kirchgemeinde lehrt er, für ihre Rechte auf Anhörung und Mitsprache einzustehen, anstatt ‘nur’ vom Minenprojekt betroffen zu sein. Genau dies ist jedoch in einem Land wie Honduras, das von Armut, Ungleichheit, Korruption und Straflosigkeit für Privilegierte geprägt ist, keine Selbstverständlichkeit. Die Interessen der ländlichen Gemeinden werden notorisch ignoriert und die Einforderung ihrer Rechte kann rasch zu Kriminalisierung und Bedrohung führen.

Der Gerichtsfall

Während sich die Lokalbevölkerung in ihren Bestrebungen nach Gerechtigkeit und Mitbestimmung von ihrem Padre unterstützt fühlt, ist diese starke Verbindung zwischen Kirchgemeinde und Priester den Kirchenverantwortlichen ein Dorn im Auge – wohl, weil auch letztere nicht ganz unabhängig von den politischen und ökonomischen Machtverhältnissen im Land sind. Die Diözese ordnete darum die Versetzung des Padre in eine andere Gemeinde an. Dieser Entscheid wurde von den Mitgliedern der Kirchgemeinde nicht akzeptiert und Padre Florentino Hernández selber weigert sich, seine Kirchgemeinde zu verlassen. Das ist nach honduranischem Kirchenrecht zwar legitim. Trotzdem führte die Weigerung des Padres dazu, dass er von seiner eigenen Kirche wegen ‘Amtsanmassung’ angeklagt wurde.
Meine nächste Begegnung mit dem Padre sollte am Morgen der ersten Gerichtsverhandlung in der Stadt Choluteca sein. PWS begleitete ihn bereits auf dem Weg dorthin, und obwohl er verhältnismässig ruhig und gefasst schien, räumte er doch etwas Nervosität und Unbehagen ein. Die meiste Zeit der Fahrt verlief dann auch still, denn dem Padre war es ein Anliegen, einige Abschnitte in der Bibel zu lesen. In Choluteca erwartete uns vor dem Lokalgericht eine bemerkenswerte Menge von Personen, die aus El Triunfo angereist waren, um ihren Padre Florentino vor dem Gericht zu unterstützen: In mindestens fünfundzwanzig Schulbussen waren über knapp tausend Personen aus dem direkten Einzugsgebiet des Padres und den umliegenden Gemeinden angereist, um lautstark kundzutun, dass sie ihren Padre weiterhin als praktizierenden Priester und freien Menschen in ihren Gemeinden haben wollen.
An diesem Tag war meine PWS-Kollegin im Gerichtssaal präsent und ich blieb im Innenhof des Gerichtsgebäudes. Auch das ist eine wichtige Form der internationalen Präsenzmarkierung, denn es zeigt allen, die kommen oder gehen, dass dieser Fall von PWS begleitet wird. Die Menschenmenge, die für den Padre angereist war, blieb zwar durch ein Gitter vom Gerichtsgebäude getrennt. Die Leute waren jedoch laut und unüberhörbar; ihre Anwesenheit konnte im Gerichtsraum nicht unbemerkt bleiben. Ich war zutiefst beeindruckt und gerührt von dieser Kundgebung.

Padre Florentino Hernández vor dem Gerichtsgebäude in Choluteca. Vom Gitter aus unterstützen die angereisten Kirchgemeindemitglieder (knapp 1000) ihren Padre bei der Anhörung. Foto: PWS 2021

Bei einer weiteren Verhandlung nahm die Anzahl Unterstützer*innen vor dem Gericht sogar noch zu, und letztlich wurde der Padre freigesprochen. Dagegen legte die Klägerschaft umgehend Rekurs ein. Padre Florentino Hernández liess sich dadurch aber keineswegs einschüchtern: Meine nächste Begegnung mit ihm war an einer Demonstration gegen die ‘Sonderzonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung’ (ZEDE), an welcher er gemeinsam mit wiederum vielen Mitgliedern seiner Kirchgemeinde teilnahm.

Internationale Begleitung gegen die Kriminalisierung

Rückblickend kann ich sagen, dass mich – während meines Einsatzes für PWS in Honduras – viele, der von uns begleiteten Menschenrechtsverteidiger*innen und Gemeindemitglieder, berührt haben. Sie alle haben mich beeindruckt durch ihre Bescheidenheit und gleichzeitig durch die Bestimmtheit, mit der sie für ihre Rechte und die Rechte ihrer Gemeinschaften einstehen. Im Fall des Padre Florentino Hernández hat sich sogar seine eigene Institution – die Kirche – gegen ihn gestellt. Der Mut, trotz allem weiterhin für die Gerechtigkeit zu kämpfen, an die er glaubt, wird ihm jedoch, so denke ich, noch lange Kraft geben. Die internationale Begleitung in Honduras ist dabei von grosser Bedeutung. Sie trägt dazu bei, dass alle rechtmässig angehört, Gerichtsverfahren möglichst ordnungsgemäss durchgeführt und das Einfordern von Mitsprache nicht durch Kriminalisierung abgetan werden können.

Wenn der Schulbesuch zum Risiko wird

Wenn der Schulbesuch zum Risiko wird

Von Nicolas

Fünfter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Nicolas war von November 2017 bis Februar 2018 für 3 Monate als Menschenrechtsbeobachter in Palästina/Israel. Er ist Jurist von Beruf und arbeitet zurzeit als Risk Profiler beim eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Zusätzlich macht er eine CAS-Ausbildung in «Religion, Peace & Conflict» bei swisspeace.
Auf dem Weg zur Schule Tuq’u. Foto: PWS-EAPPI 2018

Ein weiterer «School Run» stand auf dem Tagesplan. Seit knapp drei Monaten leisteten wir bei vier bis sechs Schulen in der Umgebung von Bethlehem mehrmals die Woche sogenannte «protective presence». Die palästinensischen Lehrpersonen baten uns explizit darum, möglichst häufig auf dem Schulweg und vor den Schulen aufzukreuzen. Zu oft wurden Schulen und deren Umgebung Schauplätze von Gewalt zwischen palästinensischen Kindern und der Israelischen Armee (IDF), Personenkontrollen und Verhaftungen. Die internationale Präsenz von EAPPI soll u.a. die Hemmschwelle, dass es zu solchen Vorfällen kommt, erhöhen. Leider ist dies nicht immer der Fall.

Aufgaben im Einsatz in Palästina/ISrael:
Als Teil des Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) vom Ökumenischen Rat der Kirchen: Schutzbegleitung von Bäuerinnen*Bauern sowie von Schulkindern, Checkpoint-Monitoring, Beobachten von alltäglichen Menschenrechtsverletzungen, Zusammenarbeit und Austausch mit lokalen Friedensorganisationen; Dokumentation, Berichterstattung und Sensibilisierungsarbeit

«Make your presence felt»

Um 07:00 Uhr fuhren wir mit unserem palästinensischen Fahrer zur Primar- und Sekundarschule in Tuq’u und wurden wie so oft, nicht nur von freundlichen palästinensischen Lehrer*innen und Schüler*innen, sondern auch vom IDF empfangen. In einer Selbstverständlichkeit hatten sie ihren Jeep neben den Eingang zur Primarschule parkiert. Weit und breit keine Israelischen Siedler*innen, die es zu beschützen gäbe. Und dennoch gibt es Gründe, warum sie fast täglich vor palästinensischen Schulen patrouillieren. Ihre Devise lautet «Make your presence felt». Die Palästinenser*innen sollen sich nicht nur physisch, sondern auch psychisch tagtäglich besetzt fühlen. Ein Gefühl, dass man bereits als kleines Kind in der West Bank bestens kennt und nicht abschütteln kann.

IDF vor der Primarschule Tuq’u. Foto: Nicolas/PWS-EAPPI 2018

Und so werden unzählige verängstigte palästinensische Primarschüler*innen bereits auf dem Schulweg mit der israelischen Besatzung konfrontiert, indem sie früh morgens an ebenfalls jungen und schwerbewaffneten Soldat*innen mit ihren Militär-Jeeps vorbeigehen müssen. Viele ihrer Bekannten und Verwandten wurden bereits auf genau diesem Schulweg oder auf dem Pausenhof verhaftet und sahen diesen Jeep schon von innen. Oft wird ihnen vorgeworfen, Steine geworfen zu haben. Nach ein paar Tagen in Haft werden sie in der Regel gegen eine Kaution von mehreren hundert Franken wieder freigelassen. Verfahrensrechte geniessen die Kinder nur wenig, so ist es gemäss israelischem Militärrecht bspw. keinem Anwalt erlaubt, bei der ersten Einvernahme des Kindes anwesend zu sein.

Langsam waren die Schüler*innen nicht mehr irgendwelche palästinensische Kinder für mich, sondern bekannte Gesichter, auf deren Wiedersehen ich mich freute und die mich mit einem Lächeln, netten Gesten und vielen High-Fives begrüssten. Umso mehr litt ich mit ihnen mit, wenn ich von dem anwesenden Lehrpersonal über ergangene Verhaftungen unterrichtet wurde. Die Woche zuvor waren es deren drei gewesen. Die Gründe dafür waren unbekannt. Auch über deren Aufenthaltsort wusste man nichts. Ein weiteres Mal wiesen wir das Lehrpersonal und Familienangehörige auf die Organisation «Defence for children international» (DCI) hin, welche in solchen Angelegenheiten kostenlos juristische Unterstützung anbietet. Die Kontaktdaten hatten sie bereits von uns erhalten. Nach einem kurzen Volleyballspiel machten wir uns wieder auf den Weg.

Gewalttätiger Zusammenstoss

Nachmittags – auf dem Weg zur Schule in Al-Khader – gerieten wir in einen gewalttätigen Zusammenstoss zwischen palästinensischen Schülern und dem IDF. Ca. 200 Meter entfernt von der Schule trafen wir auf der einen Seite auf Schüler und auf der anderen Seite auf zwei IDF-Soldaten, die sich gegenseitig gestisch und verbal provozierten. Das Gesicht mit Kufiya’s umhüllt, nahmen die Schüler ein paar Steine vom Boden auf und warfen diese in die Richtung der beiden Soldaten. Letztere amüsierten sich aus sicherer Distanz darüber und winkten den Kindern zu, sie sollen bloss näherkommen – gleichzeitig zielten sie mit ihren Waffen auf die herannahenden Schüler.

Die Al-Khader Schule. Foto: Nicolas/PWS-EAPPI 2018

Die Situation drohte zu eskalieren. Keine zwei Minuten später sahen wir dutzende Kinder und Jugendliche in zwei Seitenstrassen rennen. Zwei Militärjeeps rasten mit hohem Tempo in unsere Richtung, verfolgten die Kinder auf den Strassen und zündeten dabei Irritationskörper. Zu Fuss sicherten ein paar Soldat*innen die Umgebung und drangen in ein paar Wohnhäuser ein. Aus den Häusern flüchteten Kinder rennend von den Soldat*innen und dem lauten Knallen der Irritationskörper davon. Wir fuhren im Taxi so unverdächtig wie möglich am Militärjeep vorbei und sahen wie IDF-Soldaten gerade einen Jungen verhafteten und ihn in den Wagen verfrachteten. Plötzlich schoss ein Soldat eine Art Rauchbombe in unsere Richtung, welche auf dem Dach eines völlig unbeteiligten vorbeifahrenden Autos landete. Wir waren nur 5 Meter daneben. Die Situation wurde zu brenzlig und wir verliessen die Szenerie.

Verhaftung eines Jungen in der Nähe der Al-Khader Schule. Nicolas/PWS-EAPPI 2018

Möglichkeiten und Grenzen der Menschenrechtsbeobachtung

Oftmals können wir die Eskalation und Menschenrechtsverletzungen mit unserer alleiniger Präsenz nicht verhindern. So sind wir in diesen Situationen jeweils stark an das Prinzip der Nichteinmischung gebunden. Aber wir können beobachten, darüber berichten und Solidarität zeigen. So gehen wir die Familien besuchen, deren Kinder verhaftet wurden. Wir hören zu und zeigen ihnen, dass sie nicht alleine sind. Wenn immer möglich, agieren wir als Vermittler*innen und vernetzen die Betroffenen mit lokalen Organisationen, die konkrete Unterstützung leisten können. Unsere Berichterstattungen lesen wir täglich in ein System ein, welches auch internationalen Organisationen wie der UNO oder dem IKRK zur Verfügung steht. Zudem empfangen wir internationale Delegationen, berichten über die Lage vor Ort und leisten überall auf der Welt Sensibilisierungsarbeit. Die Welt soll erfahren, welche Auswirkungen die israelische Besatzung auf das alltägliche Leben der Palästinenser*innen hat.

Wenige Tage später gingen wir zum letzten Mal in die Primarschule, um uns zu verabschieden. In zwei Tagen werden bereits neue Menschenrechtsbegleiter*innen vor den Schulen «protective presence» leisten. Wir warteten bis die Kinder ihren morgendlichen Appell (Singen der Nationalhymne, Gymnastikbewegungen und Lesungen aus dem Koran) hinter sich hatten, standen neben der Eingangstüre und verteilten High-Fives an die ungefähr 200-250 jungen Schüler*innen die an uns vorbeigingen. Ein wunderschöner Abschied. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich die unzähligen School Runs, die Schüler- und Lehrer*innen am meisten vermissen würde. Wir tranken noch eine letzte Tasse Tee zusammen, bevor wir uns wieder auf den Weg nach Hause begingen.

Die Menschenrechtsbeobachter Nicolas und Paul mit Lehrpersonen der Schule Al Khader. Foto: PWS-EAPPI 2018.

Infoblatt Palästina/Israel – November 2021

InfoBlatt Palästina/Israel (EAPPI) - November 2021

Jack Munayer, der Local Programm Coordinator von EAPPI, schildert im Interview mit PWS, was das Jerusalem-Büro alles unternimmt, um die Menschen und Gemeinschaften in Palästina/Israel auch ohne Präsenz von internationalen Menschenrechtsbeobachter*innen zu begleiten und international auf das Geschehen in Palästina/Israel aufmerksam zu machen. Welchen Fokus seine Arbeit zurzeit hat und mit welchen Herausforderungen das Jerusalem-Team aktuell konfrontiert ist, erfahren Sie hier. PDF Version.

Der Preis der Freiheit

Der Preis der Freiheit

Von Elodie Sierro

Vierter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Elodie Sierro leistete 2018 einen sechsmonatigen Einsatz als Menschenrechtsbegleiterin für ACOGUATE in Guatemala, der damaligen Partnerorganisation von PWS im Land.  Elodie studierte Politologie und Public Management und arbeitet heute als Leiterin Partnerschaften und institutionelle Beziehungen bei Handicap International Schweiz.

Der Kampf für das Recht auf Land in Guatemala

Während meines Einsatzes als Menschenrechtsbegleiterin bei PWS/ACOGUATE in Guatemala hatte ich die Gelegenheit, eine indigene Gemeinschaft bei ihrem Landrechtsstreit zu begleiten.
Im Grenzgebiet zu Honduras tobt ein heftiger und blutiger Kampf zwischen einer indigenen Maya-Gemeinschaft und einer lokalen Landbesitzerfamilie. Einerseits wird dieser Kampf geführt, um die Ernährungssicherheit in einer Region zu gewährleisten, welche einen der höchsten Mangelernährungs-Indizes in ganz Guatemala aufweist. Andererseits ist die Rückgewinnung von Land für indigene Völker von zentraler Bedeutung, da sie den indigenen Räten eine gewisse politische Autonomie erlaubt. Um Landrechte zu erhalten, muss eine Gemeinschaft aber zunächst als indigenes Volk mit eigener Rechtspersönlichkeit anerkannt werden. Die Maja-Gemeinschaft fordert daher sowohl das Recht auf angestammtes Land[1] als auch das Recht auf Selbstbestimmung als indigenes Volk.
Aufgaben im Einsatz in Guatemala:
Als Mitglied des internationalen Konsortiums ACOGUATE: Schutzbegleitung von Menschenrechtsverteidiger*innen sowie von Zeug*innen in Menschenrechtsprozessen und von Gemeinschaften, die sich für ihr Land und den Schutz der natürlichen Ressourcen einsetzen.
Besuch einer Gemeinschaft in der Region Orient. Foto: PWS/Acoguate 2017

Die lokalen Landbesitzer sehen diesen Landrechtskampf jedoch nicht gerne. Sie versuchen ihn deshalb zu verhindern und zögern nicht mit der Anwendung von Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Gewalt äussert sich zum einen in physischer Gewalt gegenüber einzelnen Personen, zum anderen in der Kriminalisierung des Landrechtskampfes der indigenen Gemeinschaft: Mehrere Mitglieder der Maya-Gemeinschaft wurden in Untersuchungshaft genommen und warteten monatelang auf ihren Prozess.

Was mich am meisten beeindruckte, war die Stärke und der Mut der Gemeinschaft: Einerseits der Gefangenen, denen die Freiheit für ein Verbrechen entzogen wurde, das sie nicht begangen hatten, andererseits auch der anderen Gemeinschaftsmitglieder, die weiter für ihre Rechte kämpften (und immer noch dafür kämpfen), obwohl sie ständig bedroht wurden. Und tatsächlich: Die Regierung droht, greift an, foltert und tötet! Dies schien mir undenkbar, als ich in Guatemala ankam, aber ich erkannte schnell, dass dies die harte Realität war.

Prozess gegen politische Gefangene in Zacapa. Foto: PWS/Acoguate 2017

Meine Rolle als internationale Menschenrechtsbeobachterin

In diesem Kontext ist die Arbeit von PWS/ACOGUATE wertvoll. Die schützende Präsenz von Menschenrechtsbeobachter*innen und -begleiter*innen ermöglicht es den Guatemalteken, ihre Arbeit als Menschenrechtsverteidiger*innen fortzusetzen. Durch unsere Anwesenheit schaffen wir eine internationale Visibilität. Die Welt erfährt, was in Guatemala passiert. Dies hilft physische und strukturelle Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen zu begrenzen und hält Aggressoren davon ab, Gewalt anzuwenden.    

Als Menschenrechtsbeobachterin traf ich Mitglieder dieser Maya-Gemeinschaft bei Begleit­ein­sätzen in der Region, insbesondere bei Gefängnisbesuchen und bei den Gerichtsprozessen. Meine Aufgabe war es, die Gemeinschaft und insbesondere die Gefangenen und ihre Angehörigen zu begleiten. Neben unserer physischen Präsenz, konnten wir den Stimmen der Gemeinschaft bei den lokalen Politiker*innen, internationalen Organisationen und Mitgliedern des diplomatischen Corps Gehör verschaffen. Ziel war es, die Situation der Menschen sichtbar zu machen und Veränderungen zu bewirken.

Trotzdem fühlte ich mich angesichts von so viel Ungerechtigkeit oft hilflos und hatte Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass die Gemeinschaft durch meine blosse Anwesenheit unterstützt sein könnte . Lächelnd und zielstrebig verloren die begleiteten Menschen ihr Ziel nie aus den Augen: die Einforderung von Gerechtigkeit und ihrer Rechte. Frauen und Männer, die ihr Leben riskieren, um ihr Land zu verteidigen.

Diese Menschen kämpfen seit Jahren und ihr Kampf wird leider wohl noch viele Jahre andauern. Die Präsenz von Menschenrechtsbeobachter*innen gibt ihnen Kraft, sie fühlen sich begleitet und haben eine Schulter, auf die sie sich stützen können.

Ich freue mich, dass ich einen kleinen Beitrag zur Unterstützung dieser Maya-Gemeinschaft leisten durfte. Ihre Stärke und Entschlossenheit werden mir immer in Erinnerung bleiben. Die in Guatemala gemachten Erfahrungen inspirieren mich täglich und geben mir die Energie, um für eine bessere Welt zu kämpfen.

Versammlung von COMUNDICH in Camotán. Foto: Laura Kleiner 2017

__________
[1] In Zentralamerika ist der Ausdruck „Madre Tierra“ Teil der Maya-Kosmologie, eine Weltanschauung, in welcher Respekt und Schutz der Mutter Erde im Mittelpunkt steht. Es ist der Ort, an dem das Leben aller Lebewesen seinen Ursprung hat. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die Verbindung zur Natur ist stark. 

Freiwilligen-Portrait Honduras

Freiwilligen-Portrait Honduras 2021

Sandra Kühne leistete 2021 mit Peace Watch Switzerland während sechs Monaten einen Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin in Honduras. Im folgenden Portrait erzählt sie uns von ihrer Motivation, Erfahrungen und Erlebnisse im Einsatz. PDF Version.

Die Enteignung von Palästinenser*innen

Die Enteignung von Palästinenser*innen

Von Jenny Bolliger

Dritter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS

Jenny Bolliger war 2006/2007 und 2007/2008 für je drei Monate als Menschenrechtsbeobachterin in Palästina/Israel im Einsatz. 2008 bis 2012 war sie die Projektkoordinatorin für Palästina/Israel (EAPPI) bei Peace Watch Switzerland. Jenny hat einen Bachelor in Soziokulturellen Animation und einen Master in Peace Studies. Heute arbeitet sie mit geflüchteten Menschen.

Ich erinnere mich oft an meine Zeit als Menschenrechtsbeobachterin. Seither bin ich oft wiedergekommen, als Reiseleiterin, zu Besuch, als Schweizer Koordinatorin des EAPPI-Programms. Doch nie mehr habe ich Yanoun besucht, das kleine Dorf in welchem ich im Winter 2006 / 2007 drei Monate verbracht habe. Es sind schöne Erinnerungen an angehnehme Nachmittage mit den Bewohner*innen beim Mandeln ernten, beim Brot backen, spielen mit den Kindern. Es sind Erinnerungen an warme Begegnungen, lachende Gesichter und heitere Momente, wenn wir versucht haben einander etwas zu erzählen.

Dabei würde es mich wundernehmen, wie es Yassir dem Busfahrer ergeht, ob Ahmed weiterhin sein Land pflügen kann, ob Layla und ihre Schwestern sich immer noch so viele Geschichten zu erzählen wissen.

Aufgaben im Einsatz in Palästina/ISrael:
Als Teil des Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) vom Ökumenischen Rat der Kirchen: Schutzbegleitung von Bäuerinnen*Bauern sowie von Schulkindern, Checkpoint-Monitoring, Beobachten von alltäglichen Menschenrechtsverletzungen, Zusammenarbeit und Austausch mit lokalen Friedensorganisationen; Dokumentation, Berichterstattung und Sensibilisierungsarbeit
Brot backen, Yanoun. Foto: J. Bolliger 2006

Ob die Menschen in Yanoun ihre Lebensfreude trotz der Gewalt der Siedler*innen behalten haben, sich als Gemeinschaft stützen und ihre Kinder sich eine erfüllende Zukunft aufbauen konnten. Ich durfte damals am gewöhnlichen Alltag teilnehmen, unsere Präsenz war eine willkommene Abwechslung und das Dorf fühlte sich durch uns geschützt und mit der Welt verbunden. Ihre Geschichten sollten wir weitertragen, und so auf die Menschen hinter den grossen Reportagen aufmerksam machen.

Yassir und sein Sohn, Yanoun. Foto: J. Bolliger 2006

Die anhaltende Bedrohung: die Geschichte von Hadla

Die Verbundenheit mit den genannten Personen ist noch sehr stark, und glücklicherweise erinnere ich mich als Erstes an die schönen Momente. Meine damals verfassten Texte erzählen aber auch von der anhaltenden Bedrohung:

Verzweifelt empfängt uns Hadla, sie müsste ihr Zuhause eigentlich schon lange verlassen haben. Zusammen mit ihren Söhnen und deren Familien lebt sie in der Höhle, in der sie geboren wurde. Soldaten und israelische Siedler*innen kommen immer wieder vorbei und machen ihr Angst. Sie ist froh uns zu sehen und gemeinsam versuchen wir einen Anwalt für ihren Fall zu gewinnen. Das Land, das sie bewirten, gehört einer palästinensischen Grossfamilie, der sie Miete bezahlt. Die schriftliche Anweisung, die Hadla erhalten hat, besagt auf Hebräisch, dass die Armee das Gebiet für Übungszwecke beschlagnahmen möchte.

In der Höhle von Hadla und ihrer Familie. Foto: J. Bolliger 2006

Wie die Geschichte von Hadla, weitergegangen ist, ob die Anwältin sich erfolgreich für die Familie einsetzten konnte, weiss ich nicht. In den drei Monaten sind wir oft wiedergekommen, haben die Familie besucht und haben sie so bestärkt, weiterzumachen. Diesen und andere Fälle von Landentnahme haben wir dokumentiert und dem lokalen UN OCHA Büro und dem IKRK weitergeleitet, damit sie sich ein genaueres Bild von der Lage vor Ort verschaffen können. Auch haben wir jeweils Menschenrechtsorganisationen in Israel, wie z.B. B’Tselem oder Adalah kontaktiert, die helfen, die Kosten von Gerichtsfällen zu tragen.

Hadla ist kein Einzelfall: Verschiedene Methoden der Landentnahme

Es gibt tausende Schicksale wie jenes von Hadla und nebst der Einschüchterung und den Übergriffen durch Siedler*innen versucht die israelische Regierung mit verschiedensten Mitteln Land zu übernehmen und in sein Staatsgebiet einzugliedern. Beispielsweise wird Land zu Militärzwecken konfisziert wie oben erwähnt. Aber auch zum angeblichen Schutz der Natur, zum Bau der Mauer oder von Strassen, die die Palästinenser*innen nicht benutzen dürfen, wird palästinensisches Land enteignet. Zudem wurde ein altes, aus der osmanischen Zeit stammendes Gesetz wieder aktiviert welches besagt, dass unbewirtschaftetes Land nach drei Jahren automatisch israelisches Staatseigentum wird. Man lasse dazu die Bevölkerung ihr Land nicht mehr bebauen und bestellen – et voilà. Dies geschieht nicht nur auf dem Land, sondern kann auch ganze Strassenzeilen und Quartiere in Städten betreffen. Das prominenteste und aktuellste Beispiel für die Enteignung von Palästinenser*innen ist Sheikh Jarrah in Ostjerusalem.[1]

Es ist gut zu wissen, dass nach mir weitere Menschenrechtsbeobachter*innen vor Ort waren und die Menschen in ihrem Kampf um ihr Land unterstützen. Mich hat die Zeit in Yanoun sehr geprägt und mich politischer gemacht. Die wundervollen Begegnungen vor Ort motivieren mich, engagiert zu bleiben und mich für Menschenrechte stark zu machen. So bin ich weiterhin aktiv bei der Palästina Solidarität Basel.