Schützende Präsenz bei den Hirtinnen von Kisan

InfoBlatt Palästina/Israel (EAPPI) - November 2022

In Kisan, einem Bauerndorf in der Nähe von Bethlehem, bieten internationale Menschenrechtsbeobachter*innen von EAPPI palästinensischen Hirtinnen Schutz vor Angriffen israelischer Siedler*innen. Tagtäglich müssen die Hirtinnen ihr Vieh auf das Weideland treiben, das im israelisch-kontrollierten Gebiet liegt und an eine israelische Siedlung grenzt. Regelmässig kommt es zu Auseinandersetzungen. Lesen Sie im aktuellen Infoblatt über den Alltag und die Standhaftigkeit der betroffenen Hirtinnen. PDF Version

Herzensgut und dennoch verurteilt – der Fall des Padre Florentino Hernández im Süden von Honduras

Herzensgut und dennoch verurteilt – der Fall des Padre Florentino Hernández im Süden von Honduras

Von Kathrin Klöti

Sechster Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Kathrin Klöti war von Mai bis September 2021 PWS-Einsatzleistende in Honduras. Sie ist Tourismusfachfrau mit Spezialisierung in nachhaltiger Entwicklung. Nach ihrem Einstieg mit PWS in die Internationale Zusammenarbeit ist sie nun bei Helvetas für nachhaltigen Wintertourismus in Kirgistan (Zentralasien) tätig.
Zum ersten Mal traf ich den Padre Florentino Hernández im Mai 2021. Wir besuchten ihn als PWS-Team in seinem Pfarrzentrum in El Triunfo, im ländlichen Süden von Honduras nahe der Grenze zu Nicaragua. Das Pfarrzentrum ist ein einfaches Haus mit einem kleinen Innenhof, gleich neben der lokalen Kirche. Einige Strassenhunde schienen genauso stetig ein und auszugehen, wie die Mitglieder der Kirchgemeinde aus der Umgebung. Vom ersten Augenblick an schien mir der Padre ein bescheidener und wahrhaft herzensguter Mensch zu sein. Mir fiel schnell auf, dass er es kaum gewohnt war, über sich selbst zu sprechen. Die Gemeinden, die er betreut, stehen für ihn an erster Stelle. Das Wohlbefinden seiner Kirchgemeinde ist ihm ein grosses Anliegen, und dafür setzt er sich täglich von den frühen Morgenstunden an ein.
Aufgaben im Einsatz in Honduras:
Physische und telefonische Begleitung von ländlichen Gemeinden, ihren Basisorganisationen und von Menschenrechtsverteidiger*innen; Dokumentation und Berichterstattung für die PWS-Informationsarbeit, Kooperation mit anderen Akteur*innen
PWS-Menschenrechtsbeobachterinnen bei Padre Florentino Hernández. Foto: PWS 2021

Einstehen für mehr Gerechtigkeit und Mitbestimmung

Neben einer anhaltenden Dürre ist eine zentrale Herausforderung der Gemeinden im Einzugsgebiet des Padre Florentino Hernández die Mitsprache bei der Entwicklung der direkten Umgebung. Eine ausländische Minengesellschaft plant auf dem Gebiet der Gemeinden den Abbau von Gold. Vom honduranischen Staat hat sie dafür bereits die Konzession erhalten. Was zunächst als politisches Thema erscheinen mag, hat der Padre in seine seelsorgerische Arbeit aufgenommen: Seine Kirchgemeinde lehrt er, für ihre Rechte auf Anhörung und Mitsprache einzustehen, anstatt ‘nur’ vom Minenprojekt betroffen zu sein. Genau dies ist jedoch in einem Land wie Honduras, das von Armut, Ungleichheit, Korruption und Straflosigkeit für Privilegierte geprägt ist, keine Selbstverständlichkeit. Die Interessen der ländlichen Gemeinden werden notorisch ignoriert und die Einforderung ihrer Rechte kann rasch zu Kriminalisierung und Bedrohung führen.

Der Gerichtsfall

Während sich die Lokalbevölkerung in ihren Bestrebungen nach Gerechtigkeit und Mitbestimmung von ihrem Padre unterstützt fühlt, ist diese starke Verbindung zwischen Kirchgemeinde und Priester den Kirchenverantwortlichen ein Dorn im Auge – wohl, weil auch letztere nicht ganz unabhängig von den politischen und ökonomischen Machtverhältnissen im Land sind. Die Diözese ordnete darum die Versetzung des Padre in eine andere Gemeinde an. Dieser Entscheid wurde von den Mitgliedern der Kirchgemeinde nicht akzeptiert und Padre Florentino Hernández selber weigert sich, seine Kirchgemeinde zu verlassen. Das ist nach honduranischem Kirchenrecht zwar legitim. Trotzdem führte die Weigerung des Padres dazu, dass er von seiner eigenen Kirche wegen ‘Amtsanmassung’ angeklagt wurde.
Meine nächste Begegnung mit dem Padre sollte am Morgen der ersten Gerichtsverhandlung in der Stadt Choluteca sein. PWS begleitete ihn bereits auf dem Weg dorthin, und obwohl er verhältnismässig ruhig und gefasst schien, räumte er doch etwas Nervosität und Unbehagen ein. Die meiste Zeit der Fahrt verlief dann auch still, denn dem Padre war es ein Anliegen, einige Abschnitte in der Bibel zu lesen. In Choluteca erwartete uns vor dem Lokalgericht eine bemerkenswerte Menge von Personen, die aus El Triunfo angereist waren, um ihren Padre Florentino vor dem Gericht zu unterstützen: In mindestens fünfundzwanzig Schulbussen waren über knapp tausend Personen aus dem direkten Einzugsgebiet des Padres und den umliegenden Gemeinden angereist, um lautstark kundzutun, dass sie ihren Padre weiterhin als praktizierenden Priester und freien Menschen in ihren Gemeinden haben wollen.
An diesem Tag war meine PWS-Kollegin im Gerichtssaal präsent und ich blieb im Innenhof des Gerichtsgebäudes. Auch das ist eine wichtige Form der internationalen Präsenzmarkierung, denn es zeigt allen, die kommen oder gehen, dass dieser Fall von PWS begleitet wird. Die Menschenmenge, die für den Padre angereist war, blieb zwar durch ein Gitter vom Gerichtsgebäude getrennt. Die Leute waren jedoch laut und unüberhörbar; ihre Anwesenheit konnte im Gerichtsraum nicht unbemerkt bleiben. Ich war zutiefst beeindruckt und gerührt von dieser Kundgebung.

Padre Florentino Hernández vor dem Gerichtsgebäude in Choluteca. Vom Gitter aus unterstützen die angereisten Kirchgemeindemitglieder (knapp 1000) ihren Padre bei der Anhörung. Foto: PWS 2021

Bei einer weiteren Verhandlung nahm die Anzahl Unterstützer*innen vor dem Gericht sogar noch zu, und letztlich wurde der Padre freigesprochen. Dagegen legte die Klägerschaft umgehend Rekurs ein. Padre Florentino Hernández liess sich dadurch aber keineswegs einschüchtern: Meine nächste Begegnung mit ihm war an einer Demonstration gegen die ‘Sonderzonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung’ (ZEDE), an welcher er gemeinsam mit wiederum vielen Mitgliedern seiner Kirchgemeinde teilnahm.

Internationale Begleitung gegen die Kriminalisierung

Rückblickend kann ich sagen, dass mich – während meines Einsatzes für PWS in Honduras – viele, der von uns begleiteten Menschenrechtsverteidiger*innen und Gemeindemitglieder, berührt haben. Sie alle haben mich beeindruckt durch ihre Bescheidenheit und gleichzeitig durch die Bestimmtheit, mit der sie für ihre Rechte und die Rechte ihrer Gemeinschaften einstehen. Im Fall des Padre Florentino Hernández hat sich sogar seine eigene Institution – die Kirche – gegen ihn gestellt. Der Mut, trotz allem weiterhin für die Gerechtigkeit zu kämpfen, an die er glaubt, wird ihm jedoch, so denke ich, noch lange Kraft geben. Die internationale Begleitung in Honduras ist dabei von grosser Bedeutung. Sie trägt dazu bei, dass alle rechtmässig angehört, Gerichtsverfahren möglichst ordnungsgemäss durchgeführt und das Einfordern von Mitsprache nicht durch Kriminalisierung abgetan werden können.

Wenn der Schulbesuch zum Risiko wird

Wenn der Schulbesuch zum Risiko wird

Von Nicolas

Fünfter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Nicolas war von November 2017 bis Februar 2018 für 3 Monate als Menschenrechtsbeobachter in Palästina/Israel. Er ist Jurist von Beruf und arbeitet zurzeit als Risk Profiler beim eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Zusätzlich macht er eine CAS-Ausbildung in «Religion, Peace & Conflict» bei swisspeace.
Auf dem Weg zur Schule Tuq’u. Foto: PWS-EAPPI 2018

Ein weiterer «School Run» stand auf dem Tagesplan. Seit knapp drei Monaten leisteten wir bei vier bis sechs Schulen in der Umgebung von Bethlehem mehrmals die Woche sogenannte «protective presence». Die palästinensischen Lehrpersonen baten uns explizit darum, möglichst häufig auf dem Schulweg und vor den Schulen aufzukreuzen. Zu oft wurden Schulen und deren Umgebung Schauplätze von Gewalt zwischen palästinensischen Kindern und der Israelischen Armee (IDF), Personenkontrollen und Verhaftungen. Die internationale Präsenz von EAPPI soll u.a. die Hemmschwelle, dass es zu solchen Vorfällen kommt, erhöhen. Leider ist dies nicht immer der Fall.

Aufgaben im Einsatz in Palästina/ISrael:
Als Teil des Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) vom Ökumenischen Rat der Kirchen: Schutzbegleitung von Bäuerinnen*Bauern sowie von Schulkindern, Checkpoint-Monitoring, Beobachten von alltäglichen Menschenrechtsverletzungen, Zusammenarbeit und Austausch mit lokalen Friedensorganisationen; Dokumentation, Berichterstattung und Sensibilisierungsarbeit

«Make your presence felt»

Um 07:00 Uhr fuhren wir mit unserem palästinensischen Fahrer zur Primar- und Sekundarschule in Tuq’u und wurden wie so oft, nicht nur von freundlichen palästinensischen Lehrer*innen und Schüler*innen, sondern auch vom IDF empfangen. In einer Selbstverständlichkeit hatten sie ihren Jeep neben den Eingang zur Primarschule parkiert. Weit und breit keine Israelischen Siedler*innen, die es zu beschützen gäbe. Und dennoch gibt es Gründe, warum sie fast täglich vor palästinensischen Schulen patrouillieren. Ihre Devise lautet «Make your presence felt». Die Palästinenser*innen sollen sich nicht nur physisch, sondern auch psychisch tagtäglich besetzt fühlen. Ein Gefühl, dass man bereits als kleines Kind in der West Bank bestens kennt und nicht abschütteln kann.

IDF vor der Primarschule Tuq’u. Foto: Nicolas/PWS-EAPPI 2018

Und so werden unzählige verängstigte palästinensische Primarschüler*innen bereits auf dem Schulweg mit der israelischen Besatzung konfrontiert, indem sie früh morgens an ebenfalls jungen und schwerbewaffneten Soldat*innen mit ihren Militär-Jeeps vorbeigehen müssen. Viele ihrer Bekannten und Verwandten wurden bereits auf genau diesem Schulweg oder auf dem Pausenhof verhaftet und sahen diesen Jeep schon von innen. Oft wird ihnen vorgeworfen, Steine geworfen zu haben. Nach ein paar Tagen in Haft werden sie in der Regel gegen eine Kaution von mehreren hundert Franken wieder freigelassen. Verfahrensrechte geniessen die Kinder nur wenig, so ist es gemäss israelischem Militärrecht bspw. keinem Anwalt erlaubt, bei der ersten Einvernahme des Kindes anwesend zu sein.

Langsam waren die Schüler*innen nicht mehr irgendwelche palästinensische Kinder für mich, sondern bekannte Gesichter, auf deren Wiedersehen ich mich freute und die mich mit einem Lächeln, netten Gesten und vielen High-Fives begrüssten. Umso mehr litt ich mit ihnen mit, wenn ich von dem anwesenden Lehrpersonal über ergangene Verhaftungen unterrichtet wurde. Die Woche zuvor waren es deren drei gewesen. Die Gründe dafür waren unbekannt. Auch über deren Aufenthaltsort wusste man nichts. Ein weiteres Mal wiesen wir das Lehrpersonal und Familienangehörige auf die Organisation «Defence for children international» (DCI) hin, welche in solchen Angelegenheiten kostenlos juristische Unterstützung anbietet. Die Kontaktdaten hatten sie bereits von uns erhalten. Nach einem kurzen Volleyballspiel machten wir uns wieder auf den Weg.

Gewalttätiger Zusammenstoss

Nachmittags – auf dem Weg zur Schule in Al-Khader – gerieten wir in einen gewalttätigen Zusammenstoss zwischen palästinensischen Schülern und dem IDF. Ca. 200 Meter entfernt von der Schule trafen wir auf der einen Seite auf Schüler und auf der anderen Seite auf zwei IDF-Soldaten, die sich gegenseitig gestisch und verbal provozierten. Das Gesicht mit Kufiya’s umhüllt, nahmen die Schüler ein paar Steine vom Boden auf und warfen diese in die Richtung der beiden Soldaten. Letztere amüsierten sich aus sicherer Distanz darüber und winkten den Kindern zu, sie sollen bloss näherkommen – gleichzeitig zielten sie mit ihren Waffen auf die herannahenden Schüler.

Die Al-Khader Schule. Foto: Nicolas/PWS-EAPPI 2018

Die Situation drohte zu eskalieren. Keine zwei Minuten später sahen wir dutzende Kinder und Jugendliche in zwei Seitenstrassen rennen. Zwei Militärjeeps rasten mit hohem Tempo in unsere Richtung, verfolgten die Kinder auf den Strassen und zündeten dabei Irritationskörper. Zu Fuss sicherten ein paar Soldat*innen die Umgebung und drangen in ein paar Wohnhäuser ein. Aus den Häusern flüchteten Kinder rennend von den Soldat*innen und dem lauten Knallen der Irritationskörper davon. Wir fuhren im Taxi so unverdächtig wie möglich am Militärjeep vorbei und sahen wie IDF-Soldaten gerade einen Jungen verhafteten und ihn in den Wagen verfrachteten. Plötzlich schoss ein Soldat eine Art Rauchbombe in unsere Richtung, welche auf dem Dach eines völlig unbeteiligten vorbeifahrenden Autos landete. Wir waren nur 5 Meter daneben. Die Situation wurde zu brenzlig und wir verliessen die Szenerie.

Verhaftung eines Jungen in der Nähe der Al-Khader Schule. Nicolas/PWS-EAPPI 2018

Möglichkeiten und Grenzen der Menschenrechtsbeobachtung

Oftmals können wir die Eskalation und Menschenrechtsverletzungen mit unserer alleiniger Präsenz nicht verhindern. So sind wir in diesen Situationen jeweils stark an das Prinzip der Nichteinmischung gebunden. Aber wir können beobachten, darüber berichten und Solidarität zeigen. So gehen wir die Familien besuchen, deren Kinder verhaftet wurden. Wir hören zu und zeigen ihnen, dass sie nicht alleine sind. Wenn immer möglich, agieren wir als Vermittler*innen und vernetzen die Betroffenen mit lokalen Organisationen, die konkrete Unterstützung leisten können. Unsere Berichterstattungen lesen wir täglich in ein System ein, welches auch internationalen Organisationen wie der UNO oder dem IKRK zur Verfügung steht. Zudem empfangen wir internationale Delegationen, berichten über die Lage vor Ort und leisten überall auf der Welt Sensibilisierungsarbeit. Die Welt soll erfahren, welche Auswirkungen die israelische Besatzung auf das alltägliche Leben der Palästinenser*innen hat.

Wenige Tage später gingen wir zum letzten Mal in die Primarschule, um uns zu verabschieden. In zwei Tagen werden bereits neue Menschenrechtsbegleiter*innen vor den Schulen «protective presence» leisten. Wir warteten bis die Kinder ihren morgendlichen Appell (Singen der Nationalhymne, Gymnastikbewegungen und Lesungen aus dem Koran) hinter sich hatten, standen neben der Eingangstüre und verteilten High-Fives an die ungefähr 200-250 jungen Schüler*innen die an uns vorbeigingen. Ein wunderschöner Abschied. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich die unzähligen School Runs, die Schüler- und Lehrer*innen am meisten vermissen würde. Wir tranken noch eine letzte Tasse Tee zusammen, bevor wir uns wieder auf den Weg nach Hause begingen.

Die Menschenrechtsbeobachter Nicolas und Paul mit Lehrpersonen der Schule Al Khader. Foto: PWS-EAPPI 2018.

Der Preis der Freiheit

Der Preis der Freiheit

Von Elodie Sierro

Vierter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Elodie Sierro leistete 2018 einen sechsmonatigen Einsatz als Menschenrechtsbegleiterin für ACOGUATE in Guatemala, der damaligen Partnerorganisation von PWS im Land.  Elodie studierte Politologie und Public Management und arbeitet heute als Leiterin Partnerschaften und institutionelle Beziehungen bei Handicap International Schweiz.

Der Kampf für das Recht auf Land in Guatemala

Während meines Einsatzes als Menschenrechtsbegleiterin bei PWS/ACOGUATE in Guatemala hatte ich die Gelegenheit, eine indigene Gemeinschaft bei ihrem Landrechtsstreit zu begleiten.
Im Grenzgebiet zu Honduras tobt ein heftiger und blutiger Kampf zwischen einer indigenen Maya-Gemeinschaft und einer lokalen Landbesitzerfamilie. Einerseits wird dieser Kampf geführt, um die Ernährungssicherheit in einer Region zu gewährleisten, welche einen der höchsten Mangelernährungs-Indizes in ganz Guatemala aufweist. Andererseits ist die Rückgewinnung von Land für indigene Völker von zentraler Bedeutung, da sie den indigenen Räten eine gewisse politische Autonomie erlaubt. Um Landrechte zu erhalten, muss eine Gemeinschaft aber zunächst als indigenes Volk mit eigener Rechtspersönlichkeit anerkannt werden. Die Maja-Gemeinschaft fordert daher sowohl das Recht auf angestammtes Land[1] als auch das Recht auf Selbstbestimmung als indigenes Volk.
Aufgaben im Einsatz in Guatemala:
Als Mitglied des internationalen Konsortiums ACOGUATE: Schutzbegleitung von Menschenrechtsverteidiger*innen sowie von Zeug*innen in Menschenrechtsprozessen und von Gemeinschaften, die sich für ihr Land und den Schutz der natürlichen Ressourcen einsetzen.
Besuch einer Gemeinschaft in der Region Orient. Foto: PWS/Acoguate 2017

Die lokalen Landbesitzer sehen diesen Landrechtskampf jedoch nicht gerne. Sie versuchen ihn deshalb zu verhindern und zögern nicht mit der Anwendung von Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Gewalt äussert sich zum einen in physischer Gewalt gegenüber einzelnen Personen, zum anderen in der Kriminalisierung des Landrechtskampfes der indigenen Gemeinschaft: Mehrere Mitglieder der Maya-Gemeinschaft wurden in Untersuchungshaft genommen und warteten monatelang auf ihren Prozess.

Was mich am meisten beeindruckte, war die Stärke und der Mut der Gemeinschaft: Einerseits der Gefangenen, denen die Freiheit für ein Verbrechen entzogen wurde, das sie nicht begangen hatten, andererseits auch der anderen Gemeinschaftsmitglieder, die weiter für ihre Rechte kämpften (und immer noch dafür kämpfen), obwohl sie ständig bedroht wurden. Und tatsächlich: Die Regierung droht, greift an, foltert und tötet! Dies schien mir undenkbar, als ich in Guatemala ankam, aber ich erkannte schnell, dass dies die harte Realität war.

Prozess gegen politische Gefangene in Zacapa. Foto: PWS/Acoguate 2017

Meine Rolle als internationale Menschenrechtsbeobachterin

In diesem Kontext ist die Arbeit von PWS/ACOGUATE wertvoll. Die schützende Präsenz von Menschenrechtsbeobachter*innen und -begleiter*innen ermöglicht es den Guatemalteken, ihre Arbeit als Menschenrechtsverteidiger*innen fortzusetzen. Durch unsere Anwesenheit schaffen wir eine internationale Visibilität. Die Welt erfährt, was in Guatemala passiert. Dies hilft physische und strukturelle Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen zu begrenzen und hält Aggressoren davon ab, Gewalt anzuwenden.    

Als Menschenrechtsbeobachterin traf ich Mitglieder dieser Maya-Gemeinschaft bei Begleit­ein­sätzen in der Region, insbesondere bei Gefängnisbesuchen und bei den Gerichtsprozessen. Meine Aufgabe war es, die Gemeinschaft und insbesondere die Gefangenen und ihre Angehörigen zu begleiten. Neben unserer physischen Präsenz, konnten wir den Stimmen der Gemeinschaft bei den lokalen Politiker*innen, internationalen Organisationen und Mitgliedern des diplomatischen Corps Gehör verschaffen. Ziel war es, die Situation der Menschen sichtbar zu machen und Veränderungen zu bewirken.

Trotzdem fühlte ich mich angesichts von so viel Ungerechtigkeit oft hilflos und hatte Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass die Gemeinschaft durch meine blosse Anwesenheit unterstützt sein könnte . Lächelnd und zielstrebig verloren die begleiteten Menschen ihr Ziel nie aus den Augen: die Einforderung von Gerechtigkeit und ihrer Rechte. Frauen und Männer, die ihr Leben riskieren, um ihr Land zu verteidigen.

Diese Menschen kämpfen seit Jahren und ihr Kampf wird leider wohl noch viele Jahre andauern. Die Präsenz von Menschenrechtsbeobachter*innen gibt ihnen Kraft, sie fühlen sich begleitet und haben eine Schulter, auf die sie sich stützen können.

Ich freue mich, dass ich einen kleinen Beitrag zur Unterstützung dieser Maya-Gemeinschaft leisten durfte. Ihre Stärke und Entschlossenheit werden mir immer in Erinnerung bleiben. Die in Guatemala gemachten Erfahrungen inspirieren mich täglich und geben mir die Energie, um für eine bessere Welt zu kämpfen.

Versammlung von COMUNDICH in Camotán. Foto: Laura Kleiner 2017

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[1] In Zentralamerika ist der Ausdruck „Madre Tierra“ Teil der Maya-Kosmologie, eine Weltanschauung, in welcher Respekt und Schutz der Mutter Erde im Mittelpunkt steht. Es ist der Ort, an dem das Leben aller Lebewesen seinen Ursprung hat. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die Verbindung zur Natur ist stark. 

Die Enteignung von Palästinenser*innen

Die Enteignung von Palästinenser*innen

Von Jenny Bolliger

Dritter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS

Jenny Bolliger war 2006/2007 und 2007/2008 für je drei Monate als Menschenrechtsbeobachterin in Palästina/Israel im Einsatz. 2008 bis 2012 war sie die Projektkoordinatorin für Palästina/Israel (EAPPI) bei Peace Watch Switzerland. Jenny hat einen Bachelor in Soziokulturellen Animation und einen Master in Peace Studies. Heute arbeitet sie mit geflüchteten Menschen.

Ich erinnere mich oft an meine Zeit als Menschenrechtsbeobachterin. Seither bin ich oft wiedergekommen, als Reiseleiterin, zu Besuch, als Schweizer Koordinatorin des EAPPI-Programms. Doch nie mehr habe ich Yanoun besucht, das kleine Dorf in welchem ich im Winter 2006 / 2007 drei Monate verbracht habe. Es sind schöne Erinnerungen an angehnehme Nachmittage mit den Bewohner*innen beim Mandeln ernten, beim Brot backen, spielen mit den Kindern. Es sind Erinnerungen an warme Begegnungen, lachende Gesichter und heitere Momente, wenn wir versucht haben einander etwas zu erzählen.

Dabei würde es mich wundernehmen, wie es Yassir dem Busfahrer ergeht, ob Ahmed weiterhin sein Land pflügen kann, ob Layla und ihre Schwestern sich immer noch so viele Geschichten zu erzählen wissen.

Aufgaben im Einsatz in Palästina/ISrael:
Als Teil des Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) vom Ökumenischen Rat der Kirchen: Schutzbegleitung von Bäuerinnen*Bauern sowie von Schulkindern, Checkpoint-Monitoring, Beobachten von alltäglichen Menschenrechtsverletzungen, Zusammenarbeit und Austausch mit lokalen Friedensorganisationen; Dokumentation, Berichterstattung und Sensibilisierungsarbeit
Brot backen, Yanoun. Foto: J. Bolliger 2006

Ob die Menschen in Yanoun ihre Lebensfreude trotz der Gewalt der Siedler*innen behalten haben, sich als Gemeinschaft stützen und ihre Kinder sich eine erfüllende Zukunft aufbauen konnten. Ich durfte damals am gewöhnlichen Alltag teilnehmen, unsere Präsenz war eine willkommene Abwechslung und das Dorf fühlte sich durch uns geschützt und mit der Welt verbunden. Ihre Geschichten sollten wir weitertragen, und so auf die Menschen hinter den grossen Reportagen aufmerksam machen.

Yassir und sein Sohn, Yanoun. Foto: J. Bolliger 2006

Die anhaltende Bedrohung: die Geschichte von Hadla

Die Verbundenheit mit den genannten Personen ist noch sehr stark, und glücklicherweise erinnere ich mich als Erstes an die schönen Momente. Meine damals verfassten Texte erzählen aber auch von der anhaltenden Bedrohung:

Verzweifelt empfängt uns Hadla, sie müsste ihr Zuhause eigentlich schon lange verlassen haben. Zusammen mit ihren Söhnen und deren Familien lebt sie in der Höhle, in der sie geboren wurde. Soldaten und israelische Siedler*innen kommen immer wieder vorbei und machen ihr Angst. Sie ist froh uns zu sehen und gemeinsam versuchen wir einen Anwalt für ihren Fall zu gewinnen. Das Land, das sie bewirten, gehört einer palästinensischen Grossfamilie, der sie Miete bezahlt. Die schriftliche Anweisung, die Hadla erhalten hat, besagt auf Hebräisch, dass die Armee das Gebiet für Übungszwecke beschlagnahmen möchte.

In der Höhle von Hadla und ihrer Familie. Foto: J. Bolliger 2006

Wie die Geschichte von Hadla, weitergegangen ist, ob die Anwältin sich erfolgreich für die Familie einsetzten konnte, weiss ich nicht. In den drei Monaten sind wir oft wiedergekommen, haben die Familie besucht und haben sie so bestärkt, weiterzumachen. Diesen und andere Fälle von Landentnahme haben wir dokumentiert und dem lokalen UN OCHA Büro und dem IKRK weitergeleitet, damit sie sich ein genaueres Bild von der Lage vor Ort verschaffen können. Auch haben wir jeweils Menschenrechtsorganisationen in Israel, wie z.B. B’Tselem oder Adalah kontaktiert, die helfen, die Kosten von Gerichtsfällen zu tragen.

Hadla ist kein Einzelfall: Verschiedene Methoden der Landentnahme

Es gibt tausende Schicksale wie jenes von Hadla und nebst der Einschüchterung und den Übergriffen durch Siedler*innen versucht die israelische Regierung mit verschiedensten Mitteln Land zu übernehmen und in sein Staatsgebiet einzugliedern. Beispielsweise wird Land zu Militärzwecken konfisziert wie oben erwähnt. Aber auch zum angeblichen Schutz der Natur, zum Bau der Mauer oder von Strassen, die die Palästinenser*innen nicht benutzen dürfen, wird palästinensisches Land enteignet. Zudem wurde ein altes, aus der osmanischen Zeit stammendes Gesetz wieder aktiviert welches besagt, dass unbewirtschaftetes Land nach drei Jahren automatisch israelisches Staatseigentum wird. Man lasse dazu die Bevölkerung ihr Land nicht mehr bebauen und bestellen – et voilà. Dies geschieht nicht nur auf dem Land, sondern kann auch ganze Strassenzeilen und Quartiere in Städten betreffen. Das prominenteste und aktuellste Beispiel für die Enteignung von Palästinenser*innen ist Sheikh Jarrah in Ostjerusalem.[1]

Es ist gut zu wissen, dass nach mir weitere Menschenrechtsbeobachter*innen vor Ort waren und die Menschen in ihrem Kampf um ihr Land unterstützen. Mich hat die Zeit in Yanoun sehr geprägt und mich politischer gemacht. Die wundervollen Begegnungen vor Ort motivieren mich, engagiert zu bleiben und mich für Menschenrechte stark zu machen. So bin ich weiterhin aktiv bei der Palästina Solidarität Basel. 

«Gemeinschaften im Widerstand» – die Generalversammlung der CPR-Sierra

«Gemeinschaften im Widerstand» – die Generalversammlung der CPR-Sierra.

Von Michael Kohli

Zweiter Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS
Michael Kohli war von Oktober 2018 bis April 2019 in Guatemala im Einsatz. Er war als Menschenrechtsbegleiter für ACOGUATE, das guatemaltekische Partnerprojekt von PWS unterwegs. Michael studierte Psychologie und Politikwissenschaften. Aktuell arbeitet er als Velokurier in Zürich und setzt sich im Vorstand des Guatemala-Netz Zürich weiterhin für Menschenrechtsverteidiger*innen in Guatemala ein.
Eine der eindrücklichsten Erinnerungen meines Aufenthalts in Guatemala ist die Generalversammlung der CPR-Sierra, welche bei Chajul, im Nordwesten Guatemalas stattfand. CPR steht für Comunidades de Población en Resistencia, die sich während des internen bewaffneten Konflikts in Guatemala gebildet hatten. Diese „Gemeinschaften im Widerstand“ wurden von den Regierungskräften verfolgt, da sie als Nährboden der Guerilla gebrandmarkt wurden. Die vorwiegend indigenen Gemeinschaften mussten bisweilen monate- oder jahrelang unter schwierigsten Bedingungen untertauchen.
Aufgaben im Einsatz in Guatemala:
Als Mitglied des internationalen Konsortiums ACOGUATE: Schutzbegleitung von Menschenrechtsverteidiger*innen sowie von Zeug*innen in Menschenrechtsprozessen und von Gemeinschaften, die sich für ihr Land und den Schutz der natürlichen Ressourcen einsetzen

Ich erinnere mich gut an die einigermassen beschwerliche Anreise und die ziemlich anstrengende Rückreise, während der wir in dem Bus ununterbrochen von christlicher Rockmusik inklusive Video wachgehalten wurden. Die Rückfahrt hatte wohlgemerkt um etwa 2 Uhr morgens begonnen und entsprechend wären wohl alle Passagiere auch ohne Musik bestens ausgekommen.

Generalversammlung der CPR-Sierra. Photo: PWS/Acoguate 2019

Zum Gedenken und zur Vernetzung

Abgesehen von diesen „Alltäglichkeiten“, die zum Leben von Menschenrechtsbegleiter*innen gehören, erinnere ich mich sehr gut an ein Gefühl freudiger Anspannung, welches die Vorbereitungen und die tatsächliche Begleitung in Santa Clara, Chajul umgeben hat. Einerseits war es die erste Generalversammlung der CPR seit vielen Jahren. Die Versammlung war einberufen worden, weil die Versprechungen der 1996 abgeschlossen Friedensverträge nach Ansicht der CPR nicht erfüllt worden waren. Diskriminierungen, Rassismus sowie krasse Ungleichverteilung von Land und Reichtum bleiben auch nach Ende des bewaffneten Konflikts bestimmende Faktoren der guatemaltekischen Gesellschaft. In Guatemala wird im Normalfall nicht von einem Bürgerkrieg gesprochen, sondern von einem „Conflicto armado interno“, also einem internen bewaffneten Konflikt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass sich während den kriegerischen Auseinandersetzungen 1960-1996 nicht zwei ebenbürtige Bürgerkriegsparteien gegenüberstanden. Es war vielmehr ein Krieg des guatemaltekischen Staates / Militärs gegen die eigene Bevölkerung und insbesondere gegen die indigene Bevölkerung Guatemalas, an der ein Genozid verübt wurde. Laut der guatemaltekischen Wahrheitskommission wurden während des Krieges über 200‘000 Menschen getötet, wobei 83% der Opfer Indigene waren und 93% der Menschenrechtsverletzungen von der Armee begangen wurden. Das Treffen war also nicht nur eine Veranstaltung, wo den immensen Opfern und Entbehrungen zu Zeiten des Krieges gedacht wurde, sondern auch eine Gelegenheit für zivilgesellschaftliche Akteure, um sich zu vernetzen und die Kräfte neu zu bündeln.
Generalversammlung der CPR-Sierra. Photo: PWS/Acoguate 2019

Andererseits war ich mit einer Menschenrechtsbegleiterin unterwegs, für die es die erste Begleitung war, so dass ich in der Hauptverantwortung war. Natürlich wollte ich auch zeigen, was ich während meines Einsatzes gelernt hatte. Dazu kam, dass es sich um eine meiner letzten Begleitungen handelte. Gedanklich war ich dementsprechend schon intensiv damit beschäftigt meine Einsatzzeit in Guatemala zu verdauen und mir erste Überlegungen zu machen, was für mich danach kommen könnte.

Unsere Rolle als Menschenrechtsbegleiter*innen

 Während der Begleitung waren meine Kollegin und ich in unserer typischen beobachtenden und etwas distanzierten Rolle. Dies war nicht immer einfach, denn die Veranstaltung umgab ein ausgeprägter revolutionärer Geist, welcher sich in den Voten der Teilnehmenden widerspiegelte. Ein Teil von mir hätte sich gerne davon mitreissen lassen, als uns als internationalen Begleiter*innen das Wort gegeben wurde und ich nach einigem Zaudern schliesslich aufstand, um etwas zu sagen. Es war jedoch völlig klar, dass es unser Mandat nicht erlaubte, uns politisch oder parteilich zu äussern. So war meine Wortmeldung verglichen mit den anderen ziemlich oberflächlich und vage. Ich bedankte mich für die Einladung und erklärte kurz, was unsere Aufgabe als internationale Begleiter*innen war.

Menschenrechtsbegleitung an der Generalversammlung der CPR-Sierra. Photo: PWS/Acoguate 2019
Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig diese Unparteilichkeit und der Grundsatz der Nicht-Einmischung für die internationale Menschenrechtsbegleitung ist. Deshalb ist vor jeder Begleitung eine umfassende Analyse der verschiedenen involvierten Akteure unabdingbar und die einzelnen Einsätze finden nur auf Anfrage von begleiteten Organisationen oder Einzelpersonen statt. Die angespannte menschenrechtliche Lage in Guatemala macht es nötiger denn je, dass auch in Zukunft Menschen aus der Schweiz einen Einsatz als Menschenrechtsbegleiter*innen in Guatemala leisten werden. Dass unsere Arbeit geschätzt wurde und als wichtig betrachtet wurde, zeigten mir die vielen positiven Rückmeldungen, die ich von begleiteten Personen während meiner Einsatzzeit entgegennehmen durfte.

Begleitung am Gerichtshof in Tegucigalpa. Der verhandelte Gerichtsfall.

Begleitung am Gerichtshof in Tegucigalpa. Der verhandelte Gerichtsfall.

Von Marcel Anderegg

Erster Text der Reihe «Augenzeug*innenberichte in der Retrospektive» zu 20 Jahren PWS

Marcel Anderegg war im Jahr 2014 während 6 Monaten PWS-Einsatzleistender im Projekt PROAH in Honduras. PWS war von 2011 bis 2015 an diesem Projekt beteiligt. Marcel ist Agronom (ETH) und leitet heute den Verband der Schweizer Agrar- und Lebensmittelwissenschafter*innen (SVIAL).
Es war ein Gewaltvorfall, wie er in Honduras fast täglich vorkommt: An einem Abend Ende Mai 2012 schlich sich der fünfzehnjährige Ebed Jassiel Yánez aus seinem Elternhaus, um seine Freundin zu treffen. Ohne Erlaubnis des Vaters nahm er dessen Motorrad und machte sich auf den Weg durch das finstere Tegucigalpa. Es war Liebe, die ihn zu dieser Aktion verleitete, welche ein trauriges Ende nahm. Am Ziel angekommen, wartete er vergeblich, weil es seine Liebste nicht schaffte, sich unbemerkt nach draussen zu begeben. Daraufhin machte sich der Junge auf den Heimweg, wobei er einen mobilen Militärkontrollposten übersah und ohne anzuhalten passierte.
Aufgaben im Einsatz in Honduras:
Physische und telefonische Begleitung von ländlichen Gemeinden, ihren Basisorganisationen und von Menschenrechtsverteidiger*innen; Dokumentation und Berichterstattung für die PWS-Informationsarbeit, Kooperation mit anderen Akteur*innen

Der befehlshabende Oberleutnant nahm mit seiner schwer bewaffneten und vermummten Truppe die Verfolgung auf. Sie wollten den Motorradfahrer stoppen und eröffneten bereits nach wenigen Metern das Feuer. Nachdem der Junge von einer Kugel, die via Hals in den Kopf eintrat, getroffen wurde, stürzte er zu Boden. Die Soldaten hielten kurz an und verliessen den Tatort augenblicklich, anstatt Hilfe zu holen. Ungefähr zwei Stunden später kehrten sie zurück, um die herumliegenden Patronenhülsen einzusammeln. Diese warfen auf der Rückfahrt aus dem Auto. Glücklicherweise konnte aber ein Zeuge zwei dieser Hülsen auffinden und die ballistische Untersuchung ergab anschliessend, dass eine davon zum tödlichen Projektil gehörte, welches mit der Waffe von Elezear Abimael Rodríguez abgefeuert wurde. Er wurde deswegen von der Staatsanwaltschaft wegen Tötung und Missbrauch der Amtsgewalt angeklagt und am 15. März 2015 zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt.

Internationalen Menschenrechtsbegleiter*innen von PROAH begleiten den Gerichtsfall

Die Familie Yánez wurde vor Gericht neben der Staatsanwaltschaft auch von der Anwältin Karol Cárdenas der Menschenrechtsorgani-sation COFADEH (Comite de Familiares de Detenidos-Desaparecidos en Honduras) vertreten und seit der ersten Anhörung im Juni 2012 von Freiwilligen von PWS/PROAH begleitet. Während meinem Einsatz im Herbst 2014 habe ich diese Aufgabe übernommen und somit viele Stunden an der Seite von Don Wilfredo Yánez, dem Vater des Opfers, und Karol verbracht. Am Anfang tat ich mich etwas schwer, den Verhandlungen zu folgen. Einerseits hatte ich kaum Ahnung vom honduranischen Justizsystem, das sehr komplex ist. Andererseits kannte ich die vielen juristischen Fachbegriffe (noch) nicht. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und hoffte, bereits mit meiner Anwesenheit etwas zu bewirken. Dieser Prozess wurde ein wichtiger Teil des Lebensinhalts von Don Wilfredo, aber er erwähnte wiederholt, dass er keine Vergeltung möchte, sondern einzig und allein Gerechtigkeit. Er bedankte sich immer sehr herzlich für unsere Begleitung und war davon überzeugt, dass internationale Beobachtung und Präsenz einen Effekt haben.

Die Eltern Yánez mit Bild ihres getöteten Sohnes. Foto: PWS/Marcel Anderegg 2014

Der Prozess war vor allem für die Angehörigen sehr anstrengend. Wie in vielen Gerichtsverfahren wurden immer wieder Verhandlungen verschoben, der ganze Prozess verlangsamt, die Beweise, welche die Anklageseite vortrug, diskreditiert und versucht, Verwirrung zu stiften. Dies sind bekannte Strategien der Anwälte der staatlichen Streitkräfte. Es war ein sinnbildlicher Fall und man hoffte, dass neben dem ausführenden Täter auch weitere Verantwortliche zur Rechenschafft gezogen würden. Die Tötung des Jungen konnte nicht verneint werden, weil es eine Leiche gab. Den Kopf hinhalten musste aber am Ende wieder ein einzelner Soldat.

Niederlage oder Gerechtigkeit?

Immerhin kam es zu einer Verurteilung, was in einem Land, wo von 100 Tötungsfällen gerade einmal deren vier vollständig aufgeklärt werden, schon als Erfolg betrachtet werden kann. Aber wenn diejenigen, welche die Befehle geben, ständig auf freiem Fuss und an der Macht bleiben, wird sich an der Gesamtsituation leider nicht so schnell etwas ändern bzw. hat sich auch seit meiner Zeit vor Ort leider nicht viel geändert. Der Abschied von Don Wilfredo Yánez am Ende meines Einsatzes war ein spezieller Moment. Er war eine beeindruckende Persönlichkeit. Leider ist er in der Zwischenzeit einem Krebsleiden erlegen.

Die Eltern Yánez im Gespräch mit der Anwältin Karol Cárdenas. Foto: PWS/Marcel Anderegg 2014

Besondere Erinnerung aus den Gerichtssälen in Tegucigalpa

Da wir als neutrale Beobachter vor Ort waren, begann ich in den Pausen auch mal mit dem Anwalt der Streitkräfte zu reden. Er war immer sehr freundlich mit mir, der Austausch anregend und er äusserte sogar Bewunderung für unser Engagement. Aber er bezeichnete unsere Arbeit auch als gefährlich, was man auch als subtile Drohung hätte wahrnehmen können, mir in diesem Moment aber nicht bewusst war.[1] Eine spezielle Situation ereignete sich am Morgen vor der Urteilsverkündung. Einer der Angeklagten erschien in voller Militärausgangsuniform. Wir waren bereits etwas früher dort und ich fragte ihn, ob ich ein Foto machen dürfte. Er bejahte und posierte stolz. Als seine Anwälte eintrafen, schickten sie ihn ziemlich empört nach Hause und er kam in ziviler Kleidung zurück. Es sollte schliesslich nicht das Bild entstehen, dass das Militär angeklagt ist. Als ich daraufhin in einer Pause auf die Toilette ging, folgte er mir und bat mich inständig das Foto zu löschen, was ich unverzüglich tat.

„Kugeln bilden und erziehen nicht. Kugeln töten.“ Ein Graffito in Tegucigalpa, das leider nur zu gut zur Realität passt. Foto: PWS/Marcel Anderegg 2014

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[1] Drohungen und Anspielungen auf die fehlende Legitimation für seine Präsenz hat das Projekt PROAH mehrmals erhalten. Für den Aufbau des Projekts ACO-H hat PWS daraus die Lehren gezogen. PWS ist heute in Honduras formaljuristisch akkreditiert und darum für die Arbeit an staatlichen Institutionen wie den Gerichten oder im öffentlichen Raum legitimiert.

Los protectores del rio jilamito y la guerra por el agua en el caribe de honduras

Los protectores del río Jilamito y la guerra por el agua en el Caribe de Honduras

El exalcalde de Arizona —zona noratlántica de Honduras— Adolfo Alfonso Pagoada, realiza un cabildo abierto mediante el cual la comunidad se opone por mayoría a la construcción de una hidroeléctrica. Sin embargo, para sorpresa de los pobladores, la alcaldía anuncia que el proyecto ha sido aprobado por la comunidad y le da el visto bueno a la empresa Inversiones de Generación Eléctricas Sociedad Anónima (Ingelsa), propiedad de Emin Abufele. Suige leyendo aquí.

Los financistas y desarrolladores del proyecto estiman el inicio de la construcción de la represa en el segundo trimestre del 2021, una vez finalice el cierre financiero, y esperan que la obra concluya en 38 meses.

COVID-19 Bei PWS / Update Februar 2021

COVID-19 bei Peace Watch Switzerland (PWS)

Update Februar 2021

Wie alle Betriebe in der Schweiz ist auch PWS weiterhin von der Krise um COVID-19 betroffen. Die Corona-Pandemie schränkt die Arbeit in den Projekten ein und wirkt sich auf den Betrieb bei PWS aus. PWS tut alles, um die Einsatzleistenden und Teammitglieder in der Schweiz und in den Projekten zu schützen und die Begleitarbeit weiterzuführen oder wieder aufzunehmen.

PWS-Projekte im Ausland

Projekt Honduras

Im September 2020 hat PWS die physische Begleitarbeit in Honduras wieder aufgenommen. Die Begleitungen werden in allen nötigen Bereichen an die COVID-Situation angepasst: Reisen finden nicht mehr in öffentlichen Bussen, sondern mit eigenen Fahrzeugen und Fahrern statt und es gibt keine Übernachtungen in begleiteten Gemeinschaften. Abstandsregeln werden eingehalten und es werden Schutzmasken und Desinfektionsmittel verwendet. PWS kann somit in den Gemeinden wieder präsent sein, Behördengänge von Menschenrechtsverteidiger*innen und Gerichtsverhandlungen begleiten. In unserem Blog gibt es Berichte aus der aktuellen Begleitarbeit und zur Situation in Honduras. Ab März 2021 arbeiten wieder vier internationale Einsatzleistende aus der Schweiz, Deutschland, Kolumbien und Argentinien im PWS-Team in Honduras.

Projekt Palästina/Israel EAPPI

Seit März 2020 sind keine Schweizer EAs mehr in Palästina/Israel im Einsatz. Im Januar 2021 wurde entschieden, dass PWS bis September 2021 keine neuen EAs entsenden wird. Wann das nächste Training durchgeführt werden kann, bleibt noch unklar. Voraussetzung für das Training und den Einsatz ist, dass die Sicherheitsmassnahmen und -richtlinien der Schweiz, bei Letzteren auch diejenigen von Israel und Palästina, eingehalten werden können und der Schutz der Teilnehmenden, der lokalen Bevölkerung und der Mitarbeiter*innen gewährleistet werden kann.

Israel und Palästina kämpfen mit einer dritten schwerwiegenden Welle des Coronavirus, obschon die Impfkampagne in Israel auf Hochtouren läuft. Palästina hat weder das Geld noch die Infrastruktur, um genug Impfstoff zu kaufen und zu verteilen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist mit verschiedenen Impfstoffherstellern und Organisationen in Kontakt, um den Impfstoff für die Palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu sichern und haben Ende Januar 2021 die ersten 5000 Dosen des russischen Sputnik-V Impfstoffes erhalten. Es bleibt jedoch unklar, wann sie weitere Dosen geliefert bekommen werden.

EAPPI hält sich vor Ort an die Restriktionen der israelischen und palästinensischen Behörden und das Jerusalem Büro bleibt in engem Kontakt mit Schlüsselpersonen aus allen Placements. Zudem hat sich EAPPI mit anderen lokalen Menschenrechtsorganisationen zusammengeschlossen. Gemeinsam suchen sie nach Alternativen, um der lokalen Bevölkerung auch während der Corona-Pandemie Schutz zu bieten und weiterhin die Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu tragen. Für weitere Fragen kontaktieren Sie bitte die Projektverantwortliche Sarah Slan.

PWS in der Schweiz

In der Schweiz hält sich PWS an die Weisungen des Bundes und an die COVID-Regeln in der Zürcher Geschäftsstelle von HEKS. Wir arbeiten im Home-Office und unsere Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen werden zurzeit nur online durchgeführt.

An dieser Stelle werden wir Sie weiterhin über die Situation informieren. Vielen Dank für Ihre Solidarität.

Blibed witerhin xund!

PWS, 5. Februar 2020

Honduras: Richterin lässt Umweltaktivisten aus Guapinol in U-Haft

Honduras: Richterin lässt Umweltaktivisten aus Guapinol in U-Haft

Tocoa. Die acht inhaftierten Umweltaktivisten aus Guapinol werden die kommenden Feiertage nicht mit ihren Familien verbringen können. Die Richterin Zoe Guifarro vom Amtsgericht der Kleinstadt Tocoa im Norden von Honduras hat den Antrag auf Haftentlassung gegen Kaution abgelehnt und entschieden, dass sie auch nach 15 Monaten bzw. zwei Jahren weiter in U-Haft bleiben müssen. Familienangehörige und Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der Gemeingüter im Bezirk Tocoa äußerten sich traurig, enttäuscht und empört.

Komitee-Mitglied Juana Esquivel sprach von einer völlig „verrotteten Justiz“ und einem „Foltersystem“. Dutzende Menschen hatten den ganzen Freitag über vor dem Gerichtsgebäude ausgeharrt und über Nacht ein Protestcamp vor dem Tor aufgeschlagen, da die Richterin die Entscheidung nicht nach der Verhandlung mündlich, sondern erst am Samstag schriftlich mitteilen wollte. Die Anwälte der Umweltschützer legten Beschwerde gegen das Urteil ein. Ein Mitglied des Anwaltsteams beklagte, die honduranische Justiz missbrauche die U-Haft als Strafe. Den Umweltschützern aus Guapinol würden keine schweren Delikte zur Last gelegt. Die von Richterin Guifarro mitgeteilte Entscheidung sei juristisch nicht zu rechtfertigen, sondern habe ausschließlich politische Gründe. Die Anwälte rechnen mit der Beweisaufnahme und dem Beginn der Hauptverhandlung im Januar 2021.

Die Verhandlung wurde von großer internationaler Aufmerksamkeit begleitet: 39 EU-Abgeordnete hatten sich für die Freilassung der acht Männer sowie einen rechtsstaatlichen Prozess eingesetzt, über 200 Organisationen aus aller Welt unterschrieben einen offenen Brief an die honduranische Justiz. Auch die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel solidarisierte sich per Twitter. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte Prozessbeobachter vor Ort, mehrere Botschaften, darunter die der USA, Kanadas, Deutschlands und der EU-Delegation hatten am Donnerstag angekündigt, den Prozess genau zu verfolgen. Virtuell war dies jedoch nicht möglich, da keine Live-Übertragung eingerichtet wurde. Das Gericht war von Polizei und Spezialkräften des Militärs umstellt, Angehörige und Unterstützer:innen der Untersuchungshäftlinge wurden ausgesperrt.

Die Aktivisten setzten sich gegen zwei Eisenerztagebaue des honduranischen Unternehmens Inversiones Los Pinares im Naturschutzgebiet Montana de Botaderos Carlos Escaleras zur Wehr. Sie liegen im Quellgebiet mehrerer Flüsse, darunter der Rio Guapinol, die wichtig für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft mehrerer Tausend Menschen sind. Erhebliche Beeinträchtigungen werden auch von der Eisenerzpelletieranlage der Firma Ecotek befürchtet, die derzeit unmittelbar am Ortsrand des Dorfes Guapinol errichtet wird. Haupteigentümer beider Unternehmen ist das einflussreiche Unternehmer-Ehepaar Lenir Pérez und Ana Facussé.

Der Originalartikel erschien auf https://amerika21.de/2020/12/246370/honduras-guapinol-urteil-umweltaktivist